Rechtsanwalt Torsten Sonneborn

Erfolgreiche Abwehr von verhaltensbedingten Kündigungen

I. Einführung

Nach § 1 Absatz 2 Satz 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) ist eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe, die in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Welche Gründe genau zu einer verhaltensbedingten Kündigung führen können, ist gesetzlich nicht weiter festgeschrieben. Die Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen ist deshalb für den Arbeitgeber oft schwer zu begründen und durchzusetzen. Es gibt zahlreiche Hindernisse, die der Arbeitgeber nehmen muss, um seine Kündigung im Falle einer arbeitsgerichtlichen Auseinandersetzung durchzusetzen. Eine verhaltensbedingte Kündigung, die keine Angriffspunkte bietet, bildet infolgedessen in der Praxis eher die Ausnahme. Dieser Beitrag wendet sich primär an Arbeitnehmer, die erst kürzlich eine verhaltensbedingte Kündigung erhalten haben oder eine derartige Personalentscheidung ihres Arbeitgebers in absehbarer Zeit befürchten, um ihnen Wege aufzuzeigen, wie man sich hiergegen erfolgreich zur Wehr setzt; sei es mit dem Ziel, den Arbeitsplatz zu behalten oder wenigstens eine zufriedenstellende Abfindung zu erhalten. Die Lektüre soll vor allem deutlich machen, dass eine verhaltensbedingte Kündigung lediglich in seltenen Ausnahmefällen als unabänderlicher Schicksalsschlag hingenommen werden muss. Es lohnt sich fast immer, um den Arbeitsplatz zu kämpfen. Wer diesem Kampf aus dem Wege geht, verliert ganz sicher seine Anstellung und in der Regel auch jeglichen Anspruch auf die Zahlung einer Entlassungsentschädigung. Insoweit sollten sich betroffene Arbeitnehmer von den weisen Worten Bertolt Brechts leiten lassen: „Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren.“

II. Prüfungsreihenfolge

Soweit das KSchG auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, ist zur Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung neben einer schuldhaften Vertragsverletzung regelmäßig eine negative Fortführungsprognose, eine fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit und eine im Ergebnis für den Beendigungswunsch des Arbeitgebers sprechende Interessenabwägung erforderlich. Daraus ergibt sich für die arbeitsgerichtliche Überprüfung einer Kündigung, die aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen wurde, folgende „Checkliste“:

1. Anwendbarkeit des KSchG

Nicht jedes Arbeitsverhältnis untersteht dem Schutz des KSchG. In diesen Genuss kommen lediglich solche Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Ferner darf es sich bei dem Betrieb des Arbeitgebers nicht um einen Kleinstbetrieb handeln. Der Erste Abschnitt des KSchG findet gemäß § 23 Absatz 1 KSchG nur Anwendung, wenn im Betrieb zum Kündigungszeitpunkt entweder mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt sind oder mehr als fünf (Alt-) Arbeitnehmer, die bereits am 31.12.2003 in dem Betrieb beschäftigt waren. (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 21.09.2006 – 2 AZR 840/05). Der Sinn und Zweck dieser Regelung liegt darin, Betrieben mit wenigen Arbeitnehmern nicht die hohen Ansprüche des KSchG für den Ausspruch einer Kündigung aufzubürden.

2. Pflichtverletzung

Zunächst ist zu prüfen, ob der gekündigte Arbeitnehmer durch sein Verhalten gegen arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflichten verstoßen hat. Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, alles zu unterlassen, was die Funktionsfähigkeit des Betriebes und die notwendige betriebliche Ordnung gefährdet oder beeinträchtigt. Darüber hinaus ist er gehalten, alles zu unterlassen, was geeignet ist, den Vertragszweck zu gefährden, insbesondere das gegenseitige Vertrauen zu erschüttern. Das Bundesarbeitsgericht hat eine Systematisierung vorgenommen und unterscheidet bei den Vertragsverletzungen, die den Arbeitgeber zu einer verhaltensbedingten Kündigung berechtigen, nach Störungen in verschiedenen Bereichen des Arbeitsverhältnisses. Namentlich kommen in Frage Störungen im Leistungsbereich (Schlechtleistung), im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter (Verletzung des Betriebsfriedens, etwa in Form der Beleidigung von Kollegen), im persönlichen Vertrauensbereich der Vertragspartner (z.B. Verdacht strafbarer Handlungen) und im Bereich der arbeitsvertraglichen Nebenpflichten.

a) Störungen im Leistungsbereich

Als kündigungsrelevante Sachverhalte sind in diesem Zusammenhang beispielhaft zu nennen: wiederholtes unpünktliches Erscheinen am Arbeitsplatz, unentschuldigtes Fehlen sowie die mangelhafte Erledigung übertragener Arbeitsaufgaben.

Was den zuletzt genannten Sachverhalt betrifft, zeichnet sich in der Praxis ein zunehmender Trend ab, dass sich immer mehr Unternehmen von vermeintlich leistungsschwachen Arbeitnehmern, sog. „low performern“, trennen wollen. Von einem „low performer“ spricht man, wenn ein Arbeitnehmer Minderleistungen erbringt, also die tatsächlich erbrachte Leistung von der geschuldeten Leistung qualitativ oder quantitativ negativ abweicht. Soweit der Grund für diese negative Abweichung im Verhalten des Mitarbeiters begründet ist, kommt grundsätzlich eine verhaltensbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht.

Aber nicht jede Minderleistung rechtfertigt eine Kündigung. Ein Arbeitnehmer muss nämlich nur die Leistung erbringen, die er subjektiv erbringen kann. Das Bundesarbeitsgericht umschreibt dies mit folgenden Worten: „Der Arbeitnehmer muss tun, was er soll, und zwar so gut, wie er kann.“ Der Mitarbeiter erfüllt demzufolge seine Leistungspflicht, wenn er unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeitet und ein Arbeitsergebnis mittlerer Art und Güte abliefert. Nicht jeder Mitarbeiter, dessen Leistung hinter dem Durchschnitt der Arbeitskollegen zurückbleibt, ist also gleich ein „low performer“. Denn in jeder Gruppe gibt es immer eine Person, die leitungsmäßig das Schlusslicht bildet. Arbeitsrechtliche Sanktionen kommen vor diesem Hintergrund lediglich dann in Betracht, wenn ein Mitarbeiter gerade nicht „tut, was er kann“, sondern einfach faul oder nicht ausreichend motiviert ist, oder aber seine Fähigkeiten für seine Aufgaben nicht genügend ausschöpft. Weil solche „Faulpelze“ in der heutigen Arbeitswelt nur selten anzutreffend sind, gelingt es Arbeitgebern nur vereinzelt, einen vermeintlichen „low performer“ wirksam zu kündigen.

b) Störungen im Bereich der betrieblichen Ordnung

Eine konkrete, nicht aber bloß abstrakte Störung der betrieblichen Ordnung oder des Betriebsfriedens kann unter Umständen eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung darstellen, denn es gehört zu den Pflichten des Arbeitnehmers, Störungen des Betriebsfriedens zu vermeiden. So kann es etwa zu einer verhaltensbedingten Kündigung kommen, wenn ein Mitarbeiter im Betrieb durch radikale und provozierende Meinungsäußerungen aufgefallen ist oder Kollegen beleidigt hat. Wann hier die zulässige Grenze der erlaubten Meinungsäußerung überschritten ist, entscheidet sich aufgrund einer Abwägung der grundrechtlich geschützten Interessen im Rahmen des § 242 BGB. Dabei muss der Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers gebührendes Gewicht beigemessen werden, denn der Arbeitsplatz ist kein Ort, an dem sich Arbeitnehmer sprichwörtlich den Mund verbieten lassen müssen. Der Arbeitnehmer muss jedoch bei dienstlichen (ebenso wie bei außerdienstlichen) Meinungsäußerungen auf die Belange von Arbeitgeber, Betriebsrat, Kunden und Vertragspartner in angemessener Weise Rücksicht nehmen. Unzulässig sind lediglich Meinungsäußerungen, die in den Betriebsablauf eingreifen und eine ernste, schwere und beharrliche Gefährdung des Betriebsfriedens bedeuten. (z.B. polemische Flugblattaktionen gegen den Chef, Aufwiegelung der Belegschaft gegen den Betriebsrat etc.). Auch das Tragen von politisch motivierten Plaketten ist nach der Rechtsprechung grob pflichtwidrig, wenn es in provokatorischer Weise geschieht. Dafür kann es im Einzelfall schon ausreichen, dass nur wenige Arbeitnehmer Anstoß daran nehmen.

c) Störungen im Vertrauensbereich

Eine Störung im Vertrauensbereich des Arbeitsverhältnisses liegt im Allgemeinen vor, wenn die für die Zusammenarbeit der Arbeitsvertragsparteien nötige Vertrauensgrundlage zerstört ist oder der Arbeitgeber nicht mehr an die Loyalität des Arbeitnehmers glaubt.

Klassischerweise ist das Vertrauensverhältnis erheblich gestört, wenn der Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitsgebers Straftaten begangen hat. In diesem Zusammenhang kommt es leider immer wieder zu Kündigungen wegen sogenannter Bagatelldelikte. Glücklicherweise geht die Rechtsprechung der Arbeitsgerichte dahin, dass ein Arbeitsverhältnis, das jahrzehntelang beanstandungsfrei verlaufen ist, nicht fristlos gekündigt werden kann, nur weil der Arbeitnehmer einen Pfennigartikel gestohlen hat. Es sind inzwischen genügend Fälle bekannt, in denen Arbeitgeber händeringend nach Vermögensdelikten suchten, die der Arbeitnehmer zu ihren Lasten begangen haben könnte. Ein kleiner Fehler in der Spesenabrechnung wird dann oft schon zum Anlass für eine Kündigung genommen. Die finanziellen Beweggründe des Arbeitgebers liegen klar auf der Hand: Er will nicht diejenige Abfindung zahlen, die im Falle der Offenbarung der tatsächlichen Kündigungsmotive fällig würde. Betroffene Arbeitnehmer, denen beispielsweise vorgeworfen wird, wertlose Schrottartikel gestohlen zu haben, sollten sich auf jeden Fall mit anwaltlicher Hilfe gegen sog. Bagatellkündigungen zur Wehr setzen, vor allem dann, wenn offensichtlich ist, dass der Arbeitgeber eine kleine Unkorrektheit dazu nutzen will, einen unliebsamen Mitarbeiter loszuwerden.

Zu beachten ist, dass auch schon bloße der Verdacht einer Straftat eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigen kann. Als Fachanwalt für Arbeitsrecht habe ich regelmäßig Fälle zu bearbeiten, in denen gegenüber meinen Mandanten eine sogenannte Verdachtskündigung ausgesprochen wurde. Die Verdachtskündigung bildet nach der ständigen Rechtsprechung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 BGB und ist, so das Bundesarbeitsgericht, „dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen und die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören“. Wirksamkeitsvoraussetzung einer solchen Kündigung ist regelmäßig, dass der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, um den Sachverhalt möglichst genau aufzuklären. Insbesondere muss er dem Arbeitnehmer die Gelegenheit gegeben haben, Stellung zu nehmen. Dies gilt vor allem bei Sachverhalten, in denen naturgemäß Aussage gegen Aussage steht, etwa in Fällen sexueller Belästigungen. Nur wenn die Sachverhaltsaufklärung ergeben hat, dass ein dringender Tatverdacht besteht, ist eine Kündigung möglich. So reicht ein Verdachtsgrad von nur 33,3 % nicht aus, um eine verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 19.07.2006 – 2 Sa 123/ 05). Eine Verdachtskündigung ist nur dann gerechtfertigt, wenn aufgrund objektiver Tatsachen so starke Verdachtsmomente bestehen, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Täterschaft spricht. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat bzw. bereits die Eröffnung des strafrechtlichen Hauptverfahrens beschlossen wurde, da die Erhebung der Anklage gerade einen hinreichenden Tatverdacht, d.h. eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Tatbegehung voraussetzt (LAG Köln, Urteil vom 31.10.1997 – 11 (8) Sa 665/97).

d) Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten

Schließlich ist eine verhaltensbedingte Kündigung auch dann in Betracht zu ziehen, wenn der Arbeitnehmer arbeitsvertragliche Nebenpflichten verletzt hat. Als eine solche Nebenpflicht wird beispielsweise die Treuepflicht angesehen. Sie gebietet dem Arbeitnehmer allgemein, dass er sich nach besten Kräften für die Interessen des Arbeitgebers und das Gedeihen des Betriebes einsetzen und Nachteiliges unterlassen muss. Auch der Verstoß gegen ein wirksam vereinbartes Wettbewerbsverbot kann als Verletzung einer arbeitsvertraglichen Nebenpflicht kündigungsrelevant sein. Entsprechendes gilt für die schuldhafte Verletzung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen.

In der Regel ist es dem Arbeitgeber nur erlaubt, auf die Verletzung von arbeitsvertraglichen Nebenpflichten mit einer verhaltensbedingten Kündigung zu reagieren, wenn dem Mitarbeiter ein „beharrlicher“ Verstoß nachgewiesen werden kann. Eine einmalige Pflichtverletzung ohne vorherige Abmahnung ist nur dann ein Kündigungsgrund, wenn es sich um eine gravierende Verfehlung handelt, durch die dem Arbeitgeber ein erheblicher finanzieller oder ideeller
Schaden entstanden ist. Dies wird man beispielsweise dann annehmen können, wenn ein Mitarbeiter – und sei es nur fahrlässig – gegenüber Dritten ein „millionenschweres“ Betriebsgeheimnis offenbart hat.

3. Verschulden

Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt grundsätzlich nur bei einem schuldhaften, d.h. vorsätzlichem oder fahrlässigen Verhalten in Betracht (§ 276 Absatz 1 BGB). Lässt sich ein solches Verschulden bei einem vermeintlichen „low performer“ nicht feststellen, etwa weil der Arbeitnehmer seine persönlichen Leistungskapazitäten voll ausgeschöpft hat, so kommt allenfalls der Ausspruch einer (verschuldensunabhängigen) personenbedingten Kündigung in Betracht, insbesondere dann, wenn es dem Mitarbeiter aufgrund einer chronischen Krankheit dauerhaft nicht möglich ist, seine arbeitsvertraglichen Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen.

4. Abmahnung

Im Allgemeinen ist eine vorherige Abmahnung wegen eines vergleichbaren Fehlverhaltens Voraussetzung für die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung. Das Erfordernis einer Abmahnung folgt unabhängig von § 314 Absatz 1 BGB aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dessen Kernaussage sich vereinfacht wie folgt ausdrücken lässt: Bevor der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die „rote Karte“ zeigt, muss er ihn durch eine ernsthafte Verwarnung („gelbe Karte“) dazu anhalten, sein Fehlverhalten in der Zukunft abzustellen.

Die sehr weit verbreitete Annahme, dass vor einer verhaltensbedingten Kündigung dreimal abgemahnt werden muss, ist falsch. Bei besonders schwerwiegenden Verstößen gegen die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag, z.B. bei einem Diebstahl zu Lasten des Arbeitgebers, kann sogar ohne eine vorangegangene Abmahnung fristlos gekündigt werden. Bei weniger schwerwiegenden Pflichtverletzungen, etwa im Leistungsbereich, ist eine bestimmte Anzahl von Abmahnungen nicht gesetzlich vorgeschrieben. Da es allerdings für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes gemäß § 1 Absatz 2 KSchG darauf ankommt, dass eine sog. „negative Zukunftsprognose“ besteht, kann es je nach Schwere der Pflichtverletzung nicht ausreichend sein, wenn der Arbeitnehmer nur einmal abgemahnt wurde. Dies bedeutet, dass die Zahl der erforderlichen Abmahnungen immer von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängig ist.

Bei Diebstählen zu Lasten des Arbeitgebers und vergleichbaren Delikten wird oftmals auf eine Abmahnung gänzlich verzichtet. Zwar ist ein zum Nachteil des Arbeitgebers begangenes Vermögensdelikt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich ein Grund, der für eine außerordentliche Kündigung herangezogen werden kann, wobei die Höhe des erlittenen Schadens zunächst keine Rolle spielt. Allerdings muss ein Gericht die Umstände des konkreten Einzelfalls immer umfassend würdigen. Ein Arbeitsverhältnis, das jahrzehntelang beanstandungsfrei verlaufen ist, kann in der Regel nicht fristlos gekündigt werden, nur weil der Arbeitnehmer einen Pfennigartikel gestohlen hat.

Grundsätzlich gehen die Gerichte zunehmend davon aus, dass ein Arbeitgeber im Falle des Diebstahls geringwertiger Sachen zunächst zum Ausspruch einer Abmahnung verpflichtet ist und erst im Wiederholungfall mit einer (fristlosen) Kündigung reagieren darf.

Dies entspricht dem gesetzlichen Leitbild, denn in § 314 Absatz 2 BGB ist im Zuge der Schuldrechtsreform für Dauerschuldverhältnisse das Erfordernis einer erfolglosen Abmahnung vor jeder Kündigung aus wichtigem Grund festgeschrieben worden. Das Kündigungsschutzrecht wird vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht. Eine Abmahnung kommt grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer selbst die Störung des Arbeitsverhältnisses für die Zukunft beheben kann und die Abmahnung geeignet ist, die vertragsgerechte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zu bewirken. Dass im Einzelfall die Abmahnung nicht das ausreichende Mittel zur Wahrung der Interessen des Arbeitgebers sein kann und dass es Ausnahmen gibt, in denen wegen der Art und der Auswirkung der Vertragsverletzung das Erfordernis der Abmahnung entfällt, zum Beispiel bei ausgesprochen schwerwiegenden Pflichtverletzungen eines Arbeitnehmers in einer Vertrauensposition, bedeutet noch lange nicht, dass bei vertrauensbelastenden Verhaltensweisen des Arbeitnehmers von vornherein eine Abmahnung für entbehrlich gehalten werden kann.

Instruktiv zum Erfordernis einer Abmahnung ist die sehr ausführliche Urteilsbegründung des Arbeitsgerichts Hamburg (Urteil vom 02.10.2000 – 21 Ca 233/00). Dort weist das Arbeitsgericht zutreffend darauf hin, dass im Einzelfall die Aufrechterhaltung von belasteten und gestörten Beziehungen produktiver sein kann als ihr Abbruch. In der Entscheidung heißt es hierzu wörtlich: „Vertrauen ist kein Feststoff, der entweder heil dasteht oder zerbrochen ist. Vertrauen ist eine Haltung, die sich von konkreten Schritten nährt. Besonnene Arbeitgeber wissen, dass sich Vertrauen entwickeln kann und wieder herstellbar ist.“

5. Negative Fortführungsprognose

Das Arbeitsverhältnis muss durch die Vertragspflichtverletzung konkret beeinträchtigt worden sein. Eine negative Fortführungsprognose als Wirksamkeitsvoraussetzung einer verhaltensbedingten Kündigung liegt dann vor, wenn gleichartige Beeinträchtigungen auch in Zukunft zu befürchten sind. Dies setzt regelmäßig eine Wiederholungsgefahr vor.

6. Fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit

Auch bei verhaltensbedingten Kündigungen ist zu prüfen, ob es für den Arbeitgeber möglich und zumutbar ist, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz weiter zu beschäftigen. Insoweit gelten die gleichen Grundsätze wie bei einer betriebsbedingten Kündigung. Der Arbeitgeber muss sich auf die Möglichkeit einer solchen Weiterbeschäftigung nur dann verweisen zu lassen, wenn davon auszugehen ist, dass sich das dem Arbeitnehmer angelastete Fehlverhalten auf dem neuen Arbeitsplatz nicht auswirken wird. Dementsprechend muss der Arbeitgeber beispielsweise einen Mitarbeiter, der wiederholt wegen unbefugter Benutzung des Internets aufgefallen ist, gegebenenfalls auf einen freien Arbeitsplatz versetzen, der nicht über einen Internetanschluss verfügt. Der Arbeitgeber ist allerdings nicht verpflichtet, einen solchen Arbeitsplatz eigens zu schaffen, nur um dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung zu bieten.

7. Interessenabwägung

Sind alle bisher genannten Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung erfüllt, ist zum Schluss noch eine Interessenabwägung vorzunehmen. Das Interesse des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist dabei gegen das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses abzuwägen. Je nachdem, welches Interesse überwiegt, ist die Kündigung entweder wirksam oder unwirksam. Bei der Interessenabwägung kommt es insbesondere auf folgende Kriterien an: Art, Schwere und Häufigkeit des Fehlverhaltens, früheres einwandfreies Verhalten, (Mit-) Verschulden des Arbeitgebers, Dauer der Betriebszugehörigkeit, Ansehensverlust des Arbeitgebers u.v.m.

III. Aufhebungsvertrag

Vor allem in Fällen, in denen verhaltensbedingte Kündigungsgründe im Raum stehen, wird dem betroffenen Mitarbeiter oft das vermeintlich großzügige Angebot gemacht, das Arbeitsverhältnis zur Vermeidung einer außerordentlichen Kündigung durch den Abschluss eines Aufhebungsvertrages zu beenden. Soweit im Zusammenhang mit der vorgeworfenen Pflichtverletzung auch der Verdacht besteht, dass sich der Arbeitnehmer strafbar gemacht haben könnte, wird von Seiten des Arbeitgebers zuweilen versucht, die mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages verbundene Offerte dadurch schmackhafter zu machen, indem man den Verzicht auf eine Strafanzeige in Aussicht stellt.

In einem Aufhebungsvertrag (auch Auflösungsvertrag genannt) wird eine einvernehmliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses vertraglich geregelt. Leider bedenken bei der Unterzeichnung einer solchen Vereinbarung die wenigsten Arbeitnehmer, welche Konsequenzen das für sie haben kann: Im Grundsatz führt ein Aufhebungsvertrag, der grundsätzlich als selbst verschuldete Arbeitsaufgabe gewertet werden muss, zu einer Sperrzeit. Das bedeutet: Volle zwölf Wochen (!) wird von der Agentur für Arbeit kein Arbeitslosengeld gezahlt und die Bezugsdauer verringert sich zudem um diesen Zeitraum. Während der Sperrzeit werden auch keinerlei Beiträge zur Rentenversicherung bezahlt. Zudem werden von der Agentur für Arbeit die Beiträge zur Krankenversicherung und Pflegeversicherung erst ab dem zweiten Monat der Sperrzeit übernommen.

Demnach sind solche außergerichtliche Einigungen mit dem Arbeitgeber in höchstem Maße risikobehaftet! Selbst wenn der Arbeitgeber in dem Aufhebungsvertrag die Zahlung einer mehr oder weniger hohen Abfindung verspricht, sollten sich betroffene Arbeitnehmer nicht unter Druck setzten lassen und zunächst den Rat eines Fachanwaltes für Arbeitsrecht einholen.

Bis dahin muss die Maxime lauten: Nichts unterschreiben, und zwar auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber mit folgenschweren Konsequenzen droht. Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich über die (sozialversicherungsrechtlichen) Folgen eines Aufhebungsvertrages in Ruhe zu informieren. So viel Zeit muss sein!

IV. Kündigungsschutzklage

Gemäß § 7 KSchG gilt eine Kündigung als von Anfang rechtswirksam, wenn der betroffene Arbeitnehmer nicht innerhalb einer Frist von drei Wochen (§ 4 Satz 1 KSchG) beim Arbeitsgericht eine Klage auf Feststellung erhebt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist (Kündigungsschutzklage). Die Vermutung vieler Arbeitnehmer, dass ihnen nach jeder Kündigung automatisch ein Rechtsanspruch auf eine Abfindung zusteht, ist aus diesem Grund unzutreffend. Nur diejenigen Arbeitnehmer, die nach Erhalt einer Kündigung fristgerecht eine Kündigungsschutzklage erheben, haben in der Regel die Aussicht auf einen finanziellen Ausgleich für den Verlust Ihres Arbeitsplatzes.

Grundsätzlich gilt, dass die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht nur dann Sinn macht, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz um jeden Preis behalten möchte. Auch derjenige Arbeitnehmer, der sich eine dauerhafte Fortsetzung des durch den Ausspruch der Kündigung nachhaltig gestörten Arbeitsverhältnisses nicht vorstellen kann, tut im Zweifel gut daran, mit anwaltlicher Hilfe eine Kündigungsschutzklage zu erheben, da auf diesem Wege fast immer eine lohnenswerte Abfindung „erkämpft“ werden kann.

Unbedingt zu beachten ist die Klagefrist. Eine Kündigungsschutzklage kann nur innerhalb einer Frist von drei Wochen nach Zugang der Kündigung erhoben werden! Die Frist beginnt mit dem Tag des Zugangs der Kündigung zu laufen. Wird gegen die Kündigung nicht geklagt und die dreiwöchige Frist versäumt, so wird die Kündigung bestandskräftig. Das bedeutet, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Ablauf der Kündigungsfrist unwiderruflich endet. Auch wenn mit dem Arbeitgeber über die eventuelle Rücknahme der Kündigung oder über die Zahlung einer Abfindung verhandelt wird, läuft die Dreiwochenfrist zur Klageerhebung. Wenn bis zum Ablauf der Klagefrist keine gütliche Einigung mit dem Arbeitgeber erzielt werden kann, sollte zur Fristwahrung unbedingt Kündigungsschutzklage erhoben werden.

Auch Arbeitnehmern, die zugeben, eine kündigungsrelevante Pflichtverletzung begangen zu haben, ist unter Umständen zur Erhebung einer Kündigungsschutzklage zu raten, denn selbst bei offenkundig gerechtfertigten Kündigungen lässt sich mitunter noch eine durchaus passable Abfindung erstreiten. Demgemäß sollten Arbeitnehmer nach dem Erhalt einer Kündigung möglichst frühzeitig qualifizierten Rechtsrat einholen. Guter Rat ist niemals zu teuer! Richtig teuer kann es jedoch werden, wenn im Bedarfsfall auf eine Beratung verzichtet wird. Eine qualifizierte Rechtsberatung verhindert oftmals falsche Weichenstellungen und hilft meistens, überflüssige Prozesse abzuwenden bzw. unausweichliche Rechtsstreite zu gewinnen.

Der Entschluss, keine Kündigungsschutzklage zu erheben, wird gelegentlich mit der Angst vor hohen Anwaltskosten begründet. Dies ist allerdings in vielen Fällen kein überzeugendes Argument, weil die Betroffenen oftmals die Möglichkeit übersehen haben, einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) zu stellen. Im Falle der Bewilligung erhält der beigeordnete Rechtsanwalt seine Vergütung unmittelbar aus der Staatskasse.

V. Rechtsprechungsübersicht

Anhand aktueller Entscheidungen lässt sich die begrüßenswerte Tendenz erkennen, dass die Arbeitsgerichte immer höhere Anforderungen an die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung stellen. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechungsentwicklung ist unter anderem der Fall „Emmely“, in dem einer langjährig beschäftigten Kassiererin einer Supermarktkette vorgeworfen wurde, zwei ihr nicht gehörende Pfandbons im Wert von nur 1,30 EUR eingelöst zu haben. Der Rechtsstreit erregte bundesweit ein kontroverses Medienecho und rief eine gesellschaftliche Diskussion zu Bagatellkündigungen hervor. Das Bundesarbeitsgericht erklärte die Kündigung für sozial ungerechtfertigt (Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09).

  • Elektroroller aufgeladen
    Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 02.09.2010 – 16 Sa 260/10

Ein Arbeitnehmer hatte seinen Elektroroller ohne die Erlaubnis des Arbeitgebers am Arbeitsplatz aufgeladen. Obwohl dem Arbeitgeber nur Kosten in Höhe von 1,8 Cent entstanden waren und das Arbeitsverhältnis bis dahin über mehr als 15 Jahre bestanden hatte, entschied sich der Arbeitgeber zur außerordentlichen Kündigung. Das Arbeitsgericht Siegen hielt die Kündigung für unwirksam. Auch die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Die vom Landesarbeitsgericht Hamm vorgenommene Verhältnismäßigkeitsprüfung ging zugunsten des Arbeitnehmers aus. Berücksichtigt hat das Gericht dabei den geringen Schaden, die lange Beschäftigungsdauer und nicht zuletzt den Umstand, dass überfall im Betrieb Handys aufgeladen und elektronische Bilderrahmen betrieben wurden. Daher hätte eine Abmahnung im Zweifel ausgereicht, um das verlorengegangene Vertrauen wiederherzustellen.

  • Verkennung einer Notrufsituation
    Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 16.06.2010 – 3 Sa 144/10

Der Kläger war bei der Beklagten in einem Bildungszentrum mit angeschlossenem Internat beschäftigt. Dort war er für die Beaufsichtigung und Betreuung der Internatsgäste zuständig. Wegen langer Betriebszugehörigkeit war er ordentlich unkündbar und hat stets unbeanstandet gearbeitet. Im Oktober 2009 hatte der Kläger zusammen mit einer weiblichen Kollegin Nachtdienst. Während des Nachtdienstes kam es zu einem sexuellen Übergriff auf eine damals 17jährige Internatsbewohnerin durch einen betrunkenen Schüler. Auf den ersten Notruf der Internatsbewohnerin erschien der Kläger nicht. Nach einem weiteren Notruf suchte er zwar das Zimmer auf, empfahl aber nur, sich schlafen zu legen und das Zimmer von innen zu verriegeln. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage statt. In zweiter Instanz hatte sich das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein mit der Sache zu befassen, da die Arbeitgeberin gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Berufung eingelegt hatte. Die Berufung hatte keinen Erfolg: Der Kläger habe durch sein zögerliches Handeln Vertragspflichten schuldhaft verletzt. Die fristlose Kündigung sei dennoch keine angemessene Reaktion. Bei der Interessenabwägung seien das Lebensalter und die lange, unbeanstandete Betriebszugehörigkeit, durch die der Kläger ein hohes Maß von Vertrauen aufgebaut hat, von Bedeutung. Eine Abmahnung wäre als milderes Mittel ausreichend gewesen.

  • Private E-Mails am Arbeitsplatz
    Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 31.05.2010 – 12 Sa 875/09

Ein langjährig beschäftigter Mitarbeiter hatte trotz einer Dienstanweisung, die das Unterbrechen der Arbeitszeit für private Dinge untersagt, ausschweifend private E-Mails verschickt und gelesen. So erreichten den Mann laut Arbeitgeber bis zu 183 Nachrichten am Tag. Daraus zog der Arbeitgeber den Schluss, dass der Mitarbeiter für seine eigentliche Arbeit keine Zeit mehr gehabt habe könne. Es folgte die Kündigung. Der Arbeitnehmer klagte vor dem Arbeitsgericht gegen die Kündigung und verlor in erster Instanz. Auch die Berufung brachte dem Kläger keinen Erfolg, denn das Landesarbeitsgericht Niedersachen kam zu dem Ergebnis, dass der Sachverhalt auch ohne eine vorherige Abmahnung geeignet sei, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 BGB zu rechtfertigen: Die außerordentliche Kündigung eines langjährig beschäftigten Arbeitnehmers könne auch ohne vorangegangene einschlägige Abmahnung gerechtfertigt sein, wenn der Mitarbeiter über einen Zeitraum von mehr als sieben Wochen arbeitstäglich mehrere Stunden mit dem Schreiben und Beantworten privater E-Mails verbringt – an mehreren Tagen sogar in einem zeitlichen Umfang, der gar keinen Raum für die Erledigung von Dienstaufgaben mehr lässt. Eine solche „exzessive“ Privatnutzung des Dienst-PC mache aus Sicht des Arbeitgebers eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar.

  • Blüten im Rathaus
    Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil 26.08.2010 – 17 Sa 537/10

Die Klägerin arbeitete als städtische Angestellte im Straßenverkehrsamt und hatte dabei Gebühren einzunehmen. Im Rahmen einer Kassenprüfung wurde in der Kasse der Klägerin Falschgeld gefunden. Die Stadt hatte das Arbeitsverhältnis fristlos gekündigt und die Kündigung auf den Verdacht gestützt, dass die Klägerin Geld aus der Kasse gegen Falschgeld ausgetauscht habe. Die Kündigungsschutzklage der Klägerin wurde in erster Instanz vom Arbeitsgericht Dortmund abgewiesen. Die von der Klägerin hiergegen eingelegte Berufung blieb erfolglos, denn auch das Landesarbeitsgericht Hamm hielt die Kündigung als Verdachtskündigung für wirksam. Zur Begründung wies das Berufungsgericht darauf hin, dass eine Inaugenscheinnahme der betreffenden Geldscheine ergeben habe, die die Fälschungen „dilettantisch“ gemacht waren. Dies habe der Klägerin auffallen müssen, so dass der vom Arbeitgeber geäußerte Verdacht hinreichend nachvollziehbar sei.

  • Blick in die E-Mails des Vorstands
    Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 14.05.2010 – 4 Sa 1257/09

Ein für die unternehmensinternen Netzwerke zuständiger EDV-Administrator hatte unbefugt Zugriff auf die E-Mails von Vorstandsmitgliedern genommen. Als er nach dem Erhalt einer Abmahnung abermals auf die E-Mail-Postfächer der Vorstandsmitglieder zugegriffen hatte, reagierte der Arbeitgeber mit einer außerordentlichen Kündigung. Die Richter des Landesarbeitsgerichts Köln bestätigten in zweiter Instanz die Wirksamkeit dieser Kündigung. Der Kläger habe seine Pflichten als EDV-Administrator mehrfach grob verletzt. Nach Auffassung der Richter sei der Arbeitgeber auch nicht verpflichtet gewesen, dem Kläger einen anderen freien Arbeitsplatz anzubieten, er sich als „illoyal und unbelehrbar“ erwiesen habe.

  • Ehebruch als Kündigungsgrund
    Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteile vom 23.09.2010 – 425/03 u.a.

Die katholische Pfarrgemeinde St. Lambertus (Essen) hatte dem Organist und Chorleiter gekündigt, weil sich dieser 1994 von seiner Ehefrau getrennt hatte und von 1995 an mit einer neuen Partnerin zusammenlebte. Im zweiten – ähnlich gelagerten – Fall wurde ein leitender Presse-Mitarbeiters der deutschen Mormonenkirche gekündigt, weil er eine außereheliche Beziehung unterhielt. Aus kirchlicher Sicht war in beiden Fällen der Tatbestand des „Ehebruchs“ gegeben, denn bekanntlich lautet das 6. Gebot „Du sollst nicht ehebrechen.“ (2. Mose 20,14). Die Kirchen sahen sich deshalb zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit gezwungen, den jeweiligen Mitarbeitern zu kündigen. In beiden Fällen blieben die Kläger vor den deutschen Arbeitsgerichten erfolglos und zogen daraufhin vor das Bundesverfassungsgericht. Dort wurden die Verfassungsbeschwerden jedoch gar nicht erst zur Entscheidung angenommen. Beide Kläger erhoben daraufhin eine Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Die Beschwerde im Fall „Michael Obst“ wurde am 02.01.2003 und die Beschwerde im Fall „Bernhard Schüth“ am 11.01.2003 eingelegt. Nach mehr als sieben Jahren traf der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, welcher 1959 in Straßburg errichtet wurde, am 23.09.2010 endlich Entscheidungen. Im Fall „Michael Obst“ stellten die Straßburger Richter fest, dass die deutschen Arbeitsgerichte alle wesentlichen Gesichtspunkte des Rechtsstreits berücksichtigt und eine sorgfältige Interessenabwägung vorgenommen hätten. Der Gerichtshof hielt die Entscheidungen der deutschen Arbeitsgerichte im Ergebnis für vertretbar, da Michael Obst als Mormone aufgewachsen sei und sich infolgedessen darüber im Klaren gewesen sein musste, welche Bedeutung die eheliche Treue für seinen Arbeitgeber hatte. Sein außereheliches Verhältnis sei mit den erhöhten Loyalitätspflichten, die er in seiner Funktion als „Direktor Öffentlichkeitsarbeit für Europa“ gehabt habe, nicht zu vereinbaren gewesen. Die Beschwerde hatte nach alledem kein Erfolg. Im Gegensatz dazu kam der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall „Bernhard Schüth“ zu dem Ergebnis, dass sich das Landesarbeitsgericht Düsseldorf darauf beschränkt habe, die Meinung des kirchlichen Arbeitgebers unkritisch zu übernommen. Die Interessen des kirchlichen Arbeitgebers seien daher nicht ordnungsgemäß gegen das Interesse Bernhard Schüths auf Achtung seines Privat- und Familienlebens abgewogen worden. Damit habe keine gründlichere Prüfung der konkurrierenden Rechte und Interessen stattgefunden. Der Gerichtshof kam deshalb einstimmig zu der Schlussfolgerung, dass hier eine Verletzung von Artikel 8 MRK (Europäische Menschenrechtskonvention) gegeben sei.

  • 16000 SMS per Diensthandy
    Arbeitsgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 24.09.2010 – 24 Ca 1697/10

Der in der Großküche des Frankfurter Flughafens beschäftigte Kläger hatte während eines Zeitraums von 22 Monaten über sein Diensthandy rund 16000 private SMS versendet und dadurch einen finanziellen Schaden von mehr als 2.500,00 EUR verursacht. Nachdem die unbefugte Privatnutzung des Handys im Rahmen einer betriebsinternen Revision aufgefallen war, erklärte der Arbeitgeber die außerordentliche, fristlose Kündigung. Hilfsweise wurde auch eine ordentliche Kündigung zum nächst zulässigen Termin ausgesprochen. Der Kläger fühlte sich ungerecht behandelt und erhob eine Kündigungsschutzklage, über die am 24.09.2010 das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. zu entscheiden hatte.

Zur Überraschung manches Prozessbeobachters durfte der Kläger trotz seiner „Tippwut“ vorläufig seinen Arbeitsplatz behalten, denn das Gericht kam zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine verhaltensbedingte Kündigung nicht gegeben seien. Zwar stehe hier außer Frage, dass der Kläger eine nicht unerhebliche Pflichtwidrigkeit begangen habe, jedoch habe es der Arbeitgeber versäumt, eher zu reagieren. Die hohen Handyrechnungen, die beim Arbeitgeber monatlich eingingen, hätten zum Anlass für eine zügige Sachverhaltsaufklärung genommen werden müssen. Eine zeitnah ausgesprochene Abmahnung hätte als milderes Sanktionsmittel womöglich ausgereicht, um dem Arbeitnehmer die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens vor Augen zu führen. Weil dies im vorliegenden Fall nicht geschehen war, sei die streitgegenständliche Kündigung unverhältnismäßig.

  • Unterschrift des Chefs gefälscht
    Arbeitsgericht Frankfurt a.M., Urteil vom 23.06.2010 – 7 Ca 263/10

Der Kläger hatte als Teamleiter einer Sparkasse auf einem von ihm selbst verfassten Zwischenzeugnis die Unterschrift seines Chefs gefälscht, um sich mit diesem Zeugnis als Organisationsleiter eines Giroverbandes zu bewerben. Die Vorgesetzten des Klägers bekamen das Schriftstück zu Gesicht und reagierten hierauf in Form einer Kündigung. Mit der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage hatte sich am 23.06.2010 das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. zu befassen. Obwohl das Arbeitsgericht hier von einem strafbaren Verhalten des Klägers ausging, wurde die Kündigung für unwirksam erklärt. Zur Begründung wies das Gericht darauf hin, dass es sich bei dem Vergehen des Klägers um ein sog. „außerdienstliches Fehlverhalten“ handele, das nicht geeignet sei, die streitgegenständliche Kündigung zu rechtfertigen, da es keinerlei Einfluss auf die Arbeitsleistung des Klägers habe.

  • Stromdiebstahl
    Arbeitsgericht Oberhausen, Aktenzeichen: 4 Ca 1228/09

Einem Arbeitnehmer wurde gekündigt, weil er ohne entsprechende Erlaubnis sein Mobiltelefon an einer verdeckten Stelle des Betriebes aufgeladen hatte. Durch diesen Stromdiebstahl erlitt der Arbeitgeber einen finanzielle Schaden von 0,015 EUR. Das Arbeitsgericht Oberhausen musste diesen Rechtsstreit, der überregional für Aufsehen sorgte, nicht entscheiden, weil sich der Arbeitgeber im Lauf des Verfahrens dazu entschloss, die Kündigung zurückzunehmen. Daraufhin erklärte der klagende Arbeitnehmer den Rechtsstreit für erledigt. Die Entschluss des Arbeitgebers, es nicht auf eine Entscheidung des Rechtsstreits ankommen zu lassen, war sicherlich weise, denn aller Voraussicht nach wäre das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Abmahnung als milderes Sanktionsmittel ausgereicht hätte, um dem Arbeitnehmer die Unrechtmäßigkeit seines Verhaltens vor Augen zu führen. Zwar ist ein zum Nachteil des Arbeitgebers begangenes Vermögensdelikt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts grundsätzlich ein Grund, der für eine außerordentliche Kündigung herangezogen werden kann, wobei die Höhe des erlittenen Schadens zunächst keine Rolle spielt. Allerdings muss ein Gericht die Umstände des konkreten Einzelfalls immer umfassend würdigen. Ein Arbeitsverhältnis, das jahrzehntelang beanstandungsfrei verlaufen ist, kann in der Regel nicht fristlos gekündigt werden, nur weil der Arbeitnehmer einen Pfennigartikel gestohlen hat. Grundsätzlich gehen die Gerichte zunehmend davon aus, dass der Arbeitgeber in solchen Fällen zunächst zum Ausspruch einer Abmahnung verpflichtet ist.

  • Schrauben verschenkt
    Arbeitsgericht Bonn, Beschluss vom 21.10.2010 – 1 BV 47/10

Der Kläger, ein 50-jähriger Betriebsratsvorsitzender ist seit mehr als 30 Jahren bei seinem Arbeitgeber tätig. Er „schenkte“ einem früheren Arbeitskollegen drei Schrauben aus der Produktion des Arbeitgebers im Wert von 28 Cent. Durch einen anonymen Brief erfuhr der Arbeitgeber von diesem Vorfall und reagierte unmittelbar durch den Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Mit der hiergegen gerichteten Kündigungsschutzklage hatte sich das Arbeitsgericht Bonn zu befassen, dass in seiner Entscheidung vom 21.10.2010 ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Fall „Emmely“ Bezug nahm. Das Arbeitsgericht Bonn erklärte, dass ein zum Nachteil des Arbeitgebers begangenes Vermögensdelikt nach der Rechtsprechung grundsätzlich einen Grund darstelle, der für eine außerordentliche Kündigung herangezogen werden kann, wobei die Höhe des erlittenenen Schadens zunächst keine Rolle spielt. Allerdings seien auch die konkreten Umstände des Einzelfalls umfassend zu würdigen. Diese Interessenabwägung fiel zu Gunsten des Klägers aus. Vor allem sei hier die langjährige Betriebszugehörigkeit des Betriebsratsvorsitzenden zu berücksichtigen. Positiv bewertete das Arbeitsgericht auch, dass der ertappte Betriebsratsvorsitzende die Tat nicht geleugnet hat, sondern sein Vergehen sofort glaubhaft bedauerte. Weiterhin rügte das Gericht, dass es der Arbeitgeber auch versäumt habe, die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Nach alledem wurde die streitgegenständliche Kündigung von der 1. Kammer des Arbeitsgerichts Bonn für unwirksam erachtet.

  • Pommes- und Frikadellenverzehr
    Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 04.11.2010 – 8 Sa 711/10

Eine Anstalt des öffentlichen Rechts, welche die sog. Campus-Gastronomie auf dem Gelände der Ruhr-Uni Bochum betreibt, hat einem seit dem 08.11.1991 beschäftigten Küchenmitarbeiter vorgeworfen, er habe am 07.07.2009 aus der Küche Pommes frites sowie zwei Frikadellen zum Verzehr an sich genommen. Mit Schreiben vom 20.07.2009 wurde daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und hilfsweise außerordentlich mit sozialer Auslauffrist gekündigt. Vom Arbeitgeber wurde das Verhalten des Küchenmitarbeiters als Diebstahl bewertet. Zumindest sei ein Diebstahlsverdacht gegeben. Der Arbeitnehmer erhob fristgerecht eine Kündigungsschutzklage. Mit Urteil vom 17.12.2009 hatte das Arbeitsgericht Bochum dieser Klage stattgegeben. Da gegen diese Entscheidung das Rechtsmittel der Berufung eingelegt wurde, hatte sich nachfolgend das Landesarbeitsgericht Hamm mit der Sache zu befassen. Die Hammer Richter teilten die Auffassung des Bochumer Arbeitsgerichts und erklärte die Kündigungen für unwirksam. Der behauptete Verzehr der Pommes frites und der Frikadellen könne keinen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung darstellen. Dabei seien insbesondere die 19-jährige Betriebszugehörigkeit und der Umstand, dass der Kläger nach den Tarifverträgen des öffentlichen Dienstes nur noch außerordentlich kündbar ist, angemessen zu berücksichtigen gewesen. Als milderes Mittel hätte vom Arbeitgeber zunächst eine Abmahnung ausgesprochen werden müssen. Nach alledem sei auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung nicht geeignet, das Arbeitsverhältnis wirksam mit einer sozialen Auslauffrist zu beenden. Auch diese Kündigung sei ohne vorangegangene (einschlägige) Abmahnungen sozial ungerechtfertigt im Sinne des § 1 Absatz 1 Satz 1 KSchG.

  • Arbeitsverweigerung aus Glaubensgründen
    Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.02.2011 – 2 AZR 636/09

Der Kläger ist nach eigenem Bekunden ein gläubiger Moslem. Er war seit 1994 bei einem großen Warenhaus beschäftigt und dort als Ladenhilfe tätig. Im Monat Februar 2008 weigerte er sich, in der Getränkeabteilung des Warenhauses zu arbeiten und berief sich dabei auf seinen Glauben, der ihm jegliche Mitwirkung bei der Verbreitung von alkoholhaltigen Getränken verbiete. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis. Die vom Kläger fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage blieb in erster Instanz erfolglos. Auch die vom Kläger eingelegte Berufung brachte nicht den gewünschten Erfolg. Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bestätigte mit Urteil vom 20.01.2009 die Rechtmäßigkeit der Kündigung. Nunmehr hatte sich das Bundesarbeitsgericht mit der Sache zu befassen. Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung des Berufungsgerichts auf, durch welche die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses für wirksam erachtet wurde. Das Bundesarbeitsgericht stellte dabei folgende Überlegungen an: Weigert sich ein Arbeitnehmer aus religiös motivierten Gründen, eine ihm zugewiesene Arbeitsaufgabe zu erfüllen, könne dies grundsätzlich eine Kündigung durch den Arbeitgeber rechtfertigen. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass keine naheliegenden anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen. Ein als Ladenhilfe in einem Einzelhandelsmarkt beschäftigter Arbeitnehmer müsse mit der Zuweisung von Arbeitsaufgaben rechnen, die den Umgang mit Alkoholika erfordern. Macht der Arbeitnehmer geltend, aus Glaubensgründen an der Ausübung vertraglich geschuldeter Tätigkeiten gehindert zu sein, müsse er dem Arbeitgeber mitteilen, worin genau die religiösen Gründe bestehen, um zu näher darzulegen, an welchen Tätigkeiten er sich im Einzelnen gehindert sieht. Soweit für den Arbeitgeber im Rahmen der betrieblichen Organisation die Möglichkeit bestehe, den Arbeitnehmer vertragsgemäß unter Berücksichtigung der religionsbedingten Einschränkungen zu beschäftigen, so sei er von Rechts wegen auch verpflichtet, dem Arbeitnehmer diese alternative Tätigkeit zuweisen. In Anwendung dieser Grundsätze hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Ob die Weigerung des Klägers, in der Getränkeabteilung zu arbeiten, dem Arbeitgeber einen Grund zur ordentlichen Kündigung gegeben habe, stehe noch nicht hinreichend fest und bedürfe deshalb noch der weiteren Sachverhaltsaufklärung, denn dem Sachvortrag des Klägers lasse sich deutlich genug entnehmen, welche Tätigkeiten er aus Gründen seiner religiösen Überzeugung vermeintlich nicht ausüben dürfe. Dementsprechend könne auch noch nicht abschließend beurteilt werden, ob es dem Arbeitgeber möglich war, dem Kläger eine andere Arbeit zu übertragen.

  • Arbeitszeitbetrug
    Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 06.10.2010 – 6 Sa 293/10

Der Kläger, ein Postangestellter im Bereich der Brief- und Verbundzustellung, führte Postzustellungen mit einem Kfz durch und musste dabei seine Arbeitszeiten immer handschriftlich in ein Zeiterfassungsblatt eintragen. Dem Kläger war in diesem Zusammenhang ausführlich erläutert worden, dass das tatsächliche Dienstende täglich minutengenau ohne Rundungen in dieses Blatt einzutragen ist. Aufgrund mehrerer geschätzter und auch falscher Angaben über die Arbeitszeit kündigte das Unternehmen dem Postangestellten fristlos. Der Postangestellte vertrat die Auffassung, ihm sei kein kündigungsrelevantes Verhalten vorzuwerfen und erhob deshalb eine Kündigungsschutzklage.

Die Entscheidung: Das LAG Schleswig-Holstein bestätigte als Berufungsgericht die Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung. Aufgrund einer durchgeführten Beweisaufnahme ging das Gericht davon aus, dass die erheblichen Abweichung zwischen dem angegebenen Arbeitszeitende und dem tatsächlichen Verlassen des Dienstgebäudes nicht auf ein fahrlässiges Handeln oder ein Versehen zurückzuführen sein könne. Eine Falschaufzeichnung von mehr als einer halben Stunde sei ein eindeutiger Beleg für einen vorsätzlichen Arbeitszeitbetrug. Eine Abmahnung sei vor Ausspruch der Kündigung nicht erforderlich gewesen, da der Kläger ausreichend über die Zeiterfassungsmodalitäten aufgeklärt wurde und daher um sein erhebliches Fehlverhalten wusste. Der Kläger habe auch nicht darauf vertrauen können, dass sein Arbeitgeber die Manipulation toleriert.

  • Mitgliedschaft in der NPD
    Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.05.2011 – 2 AZR 479/09

Der Kläger trat 2003 als Verwaltungsangestellter in die Dienste des beklagten Landes. Der Kläger war vor Aufnahme seiner Tätigkeit auf seine politischen Treuepflichten hingewiesen worden und hatte sich zu den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekannt. Nach einer Mitteilung des Landesamts für Verfassungsschutz an die Oberfinanzdirektion betätigte sich der Kläger im Jahr 2007 für die NPD, indem er unter anderem mit Newslettern auf Veranstaltungen hinwies, an denen er teilweise auch selbst teilnahm. Er führte bei einer dieser Veranstaltungen durch das Programm und war Verantwortlicher für die Gründung des sog. Stützpunkts Karlsruhe der Jugendorganisation der NPD. Nachdem die Oberfinanzdirektion den Kläger abgemahnt hatte, nahm der Kläger erneut an einer Veranstaltung der NPD teil. Das beklagte Land sprach daraufhin die fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus und erklärte die Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Dagegen wendet sich der Kläger. Er macht mit seiner Feststellungsklage die Unwirksamkeit der Kündigungen und der Anfechtung des Arbeitsvertrags geltend. Darüber hinaus will er weiterbeschäftigt werden. Er ist der Auffassung, er habe dem beklagten Land keinerlei Veranlassung gegeben, den Arbeitsvertrag zu beenden. Er habe sich zu jeder Zeit zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekannt. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus seinen Aktivitäten für die NPD oder deren Jugendorganisation, die beide nicht wegen Verfassungsfeindlichkeit verboten seien. Das beklagte Land meint, der Kläger habe es getäuscht, indem er seine parteipolitischen Betätigungen verschwiegen habe. Außerdem habe er durch diese Aktivitäten grob gegen seine Pflichten verstoßen und sei damit aus personenbedingten Gründen für die weitere Ausübung der geschuldeten Tätigkeit nicht geeignet. Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigt, das sowohl die Anfechtung des Arbeitsvertrags als auch eine auf Aktivitäten für die NPD und deren Jugendorganisation (JN) gestützte Kündigung eines Arbeitnehmers im öffentlichen Dienst für unwirksam erklärt hat. Der Kläger habe jedenfalls nach seiner Abmahnung bis zum Zugang der Kündigung kein Verhalten gezeigt, das als aktives Bekämpfen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes angesehen werden kann. Das Bundesarbeitsgericht hatte dabei nicht zu entscheiden, ob die NPD und die ihr zuzuordnenden Jugendorganisation als verfassungsfeindlich einzustufen sind und ob das abgemahnte Verhalten deutlich gemacht hat, dass der Kläger mögliche verfassungsfeindliche Ziele der NPD aktiv unterstützt. Auch die Anfechtung sei nicht wirksam.

  • Außerdienstliche Zuhälterei
    Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 28.10.2010 – 2 AZR 293/09

Der Kläger war als Straßenbauarbeiter bei der beklagten Stadt beschäftigt. Aufgrund vertraglicher Verweisung fand auf das Arbeitsverhältnis der Parteien der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöDAT und TVöD-BT-V) Anwendung. 2008 befand sich der Kläger wegen des Vorwurfs der Zuhälterei und des Menschenhandels in Haft. Nach Erhebung der Anklage wegen Zuhälterei, vorsätzlicher Körperverletzung, erpresserischen Menschenraubs, Erpressung, schweren Menschenhandels und sexueller Nötigung hörte die beklagte Stadt den Kläger zu diesen Vorwürfen an. Er bestritt deren Berechtigung. Mit rechtskräftigem Urteil verurteilte das Landgericht den Kläger wegen gemeinschaftlicher Zuhälterei und Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung. Diese Verurteilung basierte unter anderem auf der Feststellung, dass der Kläger „mit seinem Gehalt, das er bei der [Beklagten] erzielte, nicht zufrieden (war) und einen zusätzlichen Verdienst (benötigte), um seine Familie zu ernähren“, und deshalb zusammen mit einem weiteren Täter den Entschluss gefasst hatte, „im Wege der Zuhälterei Geld zu verdienen“. Dazu hatten die Täter im März 2007 eine 18 Jahre alte tschechische Staatsbürgerin mit deren Einverständnis in Chemnitz abgeholt. Die Frau ging sodann in Essen und Dortmund der Prostitution nach. Im Januar 2008 beschloss der Kläger, sie nach Tschechien zurückzubringen. Als sie sich weigerte, schlug er sie mit einem Gürtel gegen ihre Unterschenkel. Im April 2008 waren an mehreren Tagen Presseberichte über den Prozess und die Verurteilung des Klägers erschienen, in denen auch über das Tatmotiv des Klägers berichtet worden war. Mit Schreiben vom 24.04.2008 hörte die beklagte Stadt den bei ihr gebildeten Personalrat zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Der Personalrat erhob keine Bedenken. Mit Schreiben vom 02.05.2008 kündigte die beklagte Stadt das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Wirkung zum 30.09.2008. Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, er habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt. Sein außerdienstliches Fehlverhalten habe keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis. Als Straßenbauer habe er schließlich keinerlei dienstlichen Kontakte zu den Bürgern der Stadt. Die Entscheidung fiel erwartungsgemäß aus. Das Bundesarbeitsgericht kam zu dem Ergebnis, dass sehr wohl ein dienstlicher Bezug gegeben sei, und zwar allein schon aufgrund der Äußerungen im Strafverfahren, mit denen der Kläger versucht hatte, sein Tatmotiv – ein angeblich viel zu geringes Gehalt – zu erläutern. Dazu heißt es in dem Urteil vom 28.10.2010 wörtlich: „Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend angenommen, dass der Kläger seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten verletzt hat. Ungeachtet des Charakters der von ihm begangenen Straftat besteht der erforderliche Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis. Der Kläger hat die Beklagte mit seiner Tat in Beziehung gebracht. Durch seine – auch in der Presse wiedergegebenen – Äußerungen im Strafverfahren hat er eine Verbindung zwischen seiner angeblich zu geringen Vergütung durch die Beklagte und seinem Tatmotiv hergestellt. Auf diese Weise hat er die Beklagte für sein strafbares Tun „mitverantwortlich“ gemacht. Er hat damit deren Integritätsinteresse erheblich verletzt. Ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes, der in besonderem Maße an Recht und Gesetz gebunden ist und in dieser Hinsicht einer besonders kritischen Beobachtung durch die Öffentlichkeit unterliegt, hat ein berechtigtes und gesteigertes Interesse daran, in keinerlei – und sei es auch abwegigen – Zusammenhang mit Straftaten seiner Bediensteten in Verbindung gebracht zu werden. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht. Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass der Kläger angesichts der Schwere seiner Pflichtverletzung nicht damit rechnen durfte, die Beklagte werde diese hinnehmen.“

  • Jesus hat Sie lieb!
    Landarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 20.04.2011 – 4 Sa 2230/10

Der mit 6 Stunden im Call-Center der Beklagten teilzeitbeschäftigte Kläger hat trotz einer ausdrücklich erteilten Anweisung der Beklagten nicht darauf verzichten wollen, sich am Ende eines jeden Verkaufsvorgangs von den Gesprächspartnern mit den Worten „Jesus hat Sie lieb, vielen Dank für Ihren Einkauf bei QVC und einen schönen Tag“ zu verabschieden. Die Beklagte reagierte hierauf mit dem Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Das in erster Instanz mit der Sache befasste Arbeitsgericht Bochum gab der Kündigungsschutzklage des Klägers statt (Urteil vom 08.07.2010 – 4 Ca 734/10), weil es die Klage für sozial ungerechtfertigt hielt. In der Berufungsinstanz hatte das Landesarbeitsgericht Hamm den Fall zu prüfen. Anders als das Arbeitsgericht Bochum vertrat das Landesarbeitsgericht Hamm die Rechtsansicht, die außerordentliche Kündigung der Beklagten sei sozial gerechtfertigt. Das Berufungsgericht hat auf das Spannungsfeld zwischen Glaubensfreiheit und unternehmerischer Betätigungsfreiheit hingewiesen und die Grundsätze aufgezählt, die im Rahmen dieses Abwägungsprozesses anzustellen seien. Daran anknüpfend hat es in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass der angeblich tiefgläubige Kläger nicht darlegt habe, warum er in innere Nöte gekommen wäre, wenn er im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit bei der Beklagten darauf verzichtet hätte, die ansonsten bei der Beklagten übliche Grußformel um die zusätzlichen Worte „Jesus hat Sie lieb“ zu ergänzen. Nach Ansicht der Berufungskammer muss ein Arbeitnehmer, der sich darauf beruft, dass die Befolgung einer Arbeitsanweisung ihn in seiner Glaubensfreiheit beeinträchtigt, nachvollziehbar darlegen, dass er ohne innere Not nicht von einer aus seiner Sicht zwingenden Verhaltensregel absehen könne. Für das Berufungsgericht war in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass der Kläger der Beklagten anlässlich eines nachfolgenden Streitverfahrens angeboten hatte, im Rahmen einer sogenannten Prozessbeschäftigung für die Beklagten tätig zu werden – und sich zugleich für diese Beschäftigung verpflichtet hatte, auf die Ergänzung der Grußformel zu verzichten.

  • Verdacht sexueller Belästigung
    Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.12.2010 – 2 Sa 2022/10

Der Kläger war auf der Grundlage eines befristeten Arbeitsvertrages in einem Krankenhaus beschäftigt. Zu seinem Tätigkeitsgebiet gehörte unter anderem die Begleitung von Patienten auf dem Weg von ihren Krankenzimmern zu den Klinikbereichen, in denen Untersuchungen durchgeführt werden. Nach der Durchführung einer solchen Begleitung beschuldigte die vom Kläger begleitete Patientin diesen, sie sexuell belästigt zu haben. Nachdem der Arbeitgeber von den Vorwürfen erfahren hatte, suchten zwei leitende Angestellten der Klinik den Kläger in der Wohnung seiner Freundin auf und konfrontierten ihn mit den gegen ihn erhobenen Anschuldigungen. Der Besuch beim Kläger war diesem mit dem bewusst wahrheitswidrigen Hinweis angekündigt worden, es gehe darum, dass der Kläger einen außerplanmäßigen Dienst wahrnehmen müsse. Im Anschluss an das Gespräch mit dem Kläger kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos. Der Kläger bestritt den Vorwurf der sexuellen Belästigung und erhob eine Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht Frankfurt (Oder). Das Arbeitsgericht war der Ansicht, dass die Kündigung zu Recht erfolgt sei und wies deshalb die Kündigungsschutzklage ab. Gegen das Urteil des Arbeitsgerichts legte der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg ein, so dass die Richter der 2. Kammer die Rechtmäßigkeit der Kündigung abermals zu prüfen hatten. Die Entscheidung: Das Berufungsgericht entschied, dass die Kündigung unwirksam ist. Dass der Kläger die sexuelle Belästigung tatsächlich begangen hat, könne der Arbeitgeber nicht nachweisen. Er begründete die Kündigung im Kündigungsschutzverfahren deshalb mit dem Bestehen des dringenden Verdachts, dass der Kläger eine Patientin sexuell belästigt habe. Aufgrund dieses Verdachts sei das für eine weitere Zusammenarbeit erforderliche Vertrauensverhältnis zerstört. Hierzu hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen des bloßen Verdachts des Vorliegens einer vom Arbeitnehmer begangenen Pflichtverletzung grundsätzlich möglich sei. Es handele sich in einem solchen Fall um eine sogenannte Verdachtskündigung. Eine Verdachtskündigung sei aber nur dann wirksam, wenn bestimmte von der Rechtsprechung herausgearbeitete Voraussetzungen vorliegen. Insbesondere müsse der „dringende“ Verdacht einer Straftat oder sonstigen Verfehlung vorliegen. Das Gericht bestätigte zwar das Bestehen des Verdachts, dass der Kläger die Patientin sexuell belästigt habe. Die Verdachtsmomente seien aber nicht so stark, dass von einem „dringenden“ Verdacht gesprochen werden könnte. Die Wirksamkeit der Kündigung scheiterte nach Ansicht des Gerichts außerdem daran, dass der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung nicht alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen habe. Das Gericht stellte in diesem Zusammenhang fest, dass der Arbeitgeber zunächst einmal anhand der Arbeitsbücher sorgfältig hätte prüfen müssen, welche Tätigkeiten und Arbeitsgänge der Kläger zur fraglichen Zeit durchgeführt hatte. Dies habe der Arbeitgeber unterlassen. Ferner habe aber auch die Anhörung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung nicht den von der Rechtsprechung aufgestellten Anforderungen genügt. Das Landesarbeitsgericht stellte sich auf den Standpunkt, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Anhörung einen Hinweis auf die Bedeutung des bevorstehenden Gesprächs hätte geben müssen. Hintergrund ist, dass dem Arbeitnehmer die Möglichkeit gegeben werden soll, einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Arbeitgeber einen solchen Hinweis nicht gegeben, sondern den Arbeitnehmer sogar über den wahren Inhalt des angekündigten Gesprächs bewusst getäuscht, indem er diesem vorspiegelte, es gehe um einen außerplanmäßigen Arbeitseinsatz. Hierzu heißt es in dem Urteil vom 16.12.2010 wörtlich: „ … Die Beklagte hat den Kläger nicht darüber informiert, dass mit ihm ein Anhörungsgespräch im Hinblick auf schwerwiegende Vorwürfe stattfinden würde. Es kann dahinstehen, ob der Arbeitgeber dem anzuhörenden Arbeitnehmer bereits bei der Einladung zu dem Anhörungsgespräch exakte Hinweise auf den Inhalt der Vorwürfe geben muss oder nicht; dies wird sicher dann der Fall sein, wenn der Kläger sich aufgrund von Aufzeichnungen, Unterlagen etc. auf ein solches Gespräch vorbereiten muss. Schon aber um der Möglichkeit willen, dass der Arbeitnehmer – was ihm von der zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung zugestanden wird – einen Rechtsanwalt hinzuziehen können muss, muss dem Arbeitnehmer aber auch in den anderen Fällen ein Hinweis auf die Bedeutung der vorzunehmenden Unterredung gegeben werden. Dies hat die Beklagte nicht nur nicht getan; sie hat – im Gegenteil – den Kläger über den Inhalt des bevorstehenden Gesprächs sogar bewusst getäuscht, indem sie vorgab, ihn wegen eines zusätzlichen Dienstes aufsuchen zu wollen. Bereits dieser Umstand führt nach der zitierten Rechtsprechung dazu, die Anhörung des Klägers als fehlerhaft anzusehen. … Im Streitfalle kommt hinzu, dass auch die sonstigen Umstände des Anhörungsgesprächs nicht geeignet waren, von einer zureichenden Anhörung des Klägers auszugehen. Es ist unstreitig, dass das Gespräch in der offenbar nicht sehr großen Wohnung der Freundin des Klägers, in Anwesenheit von dieser und dem Kind stattfand; eine Situation, die keineswegs geeignet ist, von einer angemessenen Anhörung ohne Vorliegen einer Drucksituation auszugehen. Insofern kann es dahinstehen, ob und inwieweit der Kläger hierbei ein Geständnis abgelegt hat oder nicht. Hinreichend verwertbar im Sinne einer Entlastungsmöglichkeit für den Kläger war das Gespräch nicht. …“

  • Übergriffe auf Schutzbefohlene
    Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Urteil vom 15.02.2011 – 16 Sa 1016/10

Die Klägerin war seit dem 01.04.1993 zunächst als Psychologin und ab dem Jahr 2005 als Bereichsleiterin für fünf Wohngruppen mit 40 Mitarbeitern für die Beklagte, eine gemeinnützige Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung, tätig. Die Betreuung in einer Wohngruppe orientierte sich an dem sog. „Intra-act-plusKonzept“. Dieses Konzept sieht als Reaktion auf fremdaggressives Verhalten differenzierte Belohnungs- und Bestrafungstypen vor. Im Rahmen dieses Konzepts kam es im April und Mai 2008 zu massiven Übergriffen und Misshandlungen anvertrauter Schutzbefohlener durch Mitarbeiter der Beklagten. An diesen Übergriffen war die Klägerin selbst nicht aktiv beteiligt. Die Beklagte hat der Klägerin jedoch vorgeworfen, ihren Kontrollpflichten als zuständiger Bereichsleiterin nicht nachgekommen zu sein, um die „erzieherischen“ Grenzüberschreitungen zu unterbinden. Obwohl die Klägerin positive Kenntnis von den Vorfällen gehabt habe, sei die Geschäftsleitung durch sie zunächst nicht informiert worden. Spätestens am 26.05.2008 informierte die Klägerin dann aber doch die damalige Geschäftsführung. Die mittlerweile neue Geschäftsführung der Beklagten hat die Vorfälle im August 2009 untersucht und als Ergebnis die Klägerin mit Schreiben vom 30.09.2009 fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist zum 31.03.2010 gekündigt. Erstinstanzlich hatte die Kündigungsschutzklage der Klägerin Erfolg. Die Entscheidung: Wie schon das Arbeitsgericht Düsseldorf hat das Landesarbeitsgericht Düsseldorf im Berufungsverfahren der Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung stattgegeben. Der Klägerin konnte nicht nachgewiesen werden, dass sie vor Unterrichtung der damaligen Geschäftsleitung positive Kenntnis von den Vorfällen hatte. Ob sie gegen ihre Kontrollpflichten verstieß, ließ das Landesarbeitsgericht offen. Es hätte insoweit vor Ausspruch einer Kündigung jedenfalls einer Abmahnung bedurft. Der parallel gestellte Weiterbeschäftigungsantrag dagegen wurde zurückgewiesen. Die Weiterbeschäftigung der Klägerin sei derzeit aufgrund einer inzwischen ergangenen öffentlich-rechtlichen Auflage des Landschaftsverbands Rheinland an die Beklagte, die Klägerin bis zum Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen nicht weiter zu beschäftigen, rechtlich nicht möglich. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision nicht zugelassen.

  • Roman als Kündigungsgrund
    Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 15.07.2011 – 13 Sa 436/11

Der 51 Jahre alte Kläger ist seit 1998 bei der beklagten Arbeitgeberin als Sachbearbeiter in der Abteilung Vertrieb/Verkauf tätig. Er ist Mitglied des Betriebsrats. Die Arbeitgeberin stellt Küchenmöbel her und beschäftigt über 300 Arbeitnehmer. Der Kläger hat einen so genannten Büro-Roman verfasst, der den Titel trägt „Wer die Hölle fürchtet, kennt das Büro nicht“. Der Roman ist aus der Perspektive des Ich-Erzählers „Jockel Beck“ geschrieben. Im Buch wird dem (dort so genannten) Arbeitnehmer „Hannes“ unterstellt, dieser konsumiere Rauschmittel („hat alles geraucht, was ihm vor die Tüte kam“). Über die Arbeitnehmerin „Fatma“ heißt es im Buch, sie „erfülle so manches Klischee, was man allgemein von Türken pflegt: ihre krasse Nutzung der deutschen Sprache und auch ihr aufschäumendes Temperament. Leider steht ihr Intellekt genau diametral zu ihrer Körbchengröße“. Der Junior-Chef „Horst“ wird im Buch folgendermaßen beschrieben: „Er ist ein Feigling! Er hat nicht die Eier, jemandem persönlich gegenüberzutreten, dafür schickt er seine Lakaien“.

Der Kläger bot das Buch Ende Oktober 2010 während der Arbeitszeit Kollegen zum Kauf an. Die Arbeitgeberin sprach am 10.11.2010 eine fristlose Kündigung aus. Der Betriebsrat hatte zuvor dieser Kündigung zugestimmt. Die Arbeitgeberin stützt die Kündigung darauf, dass der Roman des Klägers beleidigende, ausländerfeindliche und sexistische Äußerungen über Kollegen und Vorgesetzte des Klägers enthalte. Das Buch weise deutliche Parallelen zum Unternehmen und dort tätigen Personen auf. U. a. die Romanfiguren „Hannes“, „Fatma“ und „Horst“ seien als tatsächlich existierende Personen zu identifizieren. Durch den Roman sei der Betriebsfrieden erheblich gestört worden. Verschiedene Arbeitnehmer hätten sich persönlich angegriffen gefühlt, eine Mitarbeiterin habe sich in ärztliche Behandlung begeben müssen. Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Bei dem Buch handele es sich um einen fiktiven Roman; er habe keine Umstände aufgegriffen, die eine Identifikation zuließen. Der Kläger beruft sich auf die Freiheit der Kunst. Das Arbeitsgericht Herford hat mit dem Urteil vom 18.02.2010 der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger könne sich auf die Kunstfreiheit berufen. Das Buch sei als Roman und nicht als Tagebuch anzusehen. Ansätze für eine Übersetzung des Romans in die Wirklichkeit seien nicht ersichtlich. Die Beklagte hat gegen das erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt. Auch das Landesarbeitsgericht Hamm hielt die Kündigung nicht für sozial gerechtfertigt und wies die Berufung als unbegründet zurück. Maßgeblich waren für die Kammer folgende rechtliche Erwägungen: Der Kläger könne sich als Arbeitnehmer auf die Kunstfreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 3 GG berufen. Insoweit bestehe die tatsächliche Vermutung, dass es sich auch bei einem (Büro-) Roman um eine fiktionale Darstellung handele. Etwas anderes könne nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann gelten, wenn alle Eigenschaften einer Romanfigur dem tatsächlichen Vorbild entsprächen. Dies habe im Streitfall aber nicht festgestellt werden können, zumal die Beklagte stets betont habe, die im Roman überspitzt gezeichneten Zustände nicht die realen Verhältnisse im Betrieb widerspiegelten.

  • Mehrjährige Freiheitsstrafe
    Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 24.03.2011 – 2 AZR 790/09

Der Kläger war bei der Beklagten seit 1992 als Industriemechaniker beschäftigt. Im Monat November 2006 wurde er in Untersuchungshaft genommen, im Monat Mai 2007 wurde er bei fortbestehender Inhaftierung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sieben Monaten verurteilt und es wurde die zur Bewährung erfolgte Aussetzung einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten widerrufen. Die Beklagte kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis und besetzte den Arbeitsplatz dauerhaft durch einen anderen Mitarbeiter. Gegen diese Kündigung wehrte sich der Kläger mit der Erhebung einer Kündigungsschutzklage. In der Berufungsinstanz gab das Landesarbeitsgericht Niedersachsen dem Kläger Recht. Die Beklagte legte Revision ein. Dieses Rechtsmittel der Beklagten hatte Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht ging von der sozialen Rechtfertigung der Kündigung aus. Da die der Verurteilung zugrunde liegenden Taten keinen Bezug zum Arbeitsverhältnis hätten, komme eine verhaltensbedingte Kündigung zwar nicht in Betracht. Allerdings sei die Kündigung aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Es sei der Beklagten aufgrund der Dauer der Inhaftierung nicht zumutbar, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Der Kläger habe diese Leistungsunmöglichkeit, die zu einer Störung des Gleichgewichts von Leistung und Gegenleistung führe, selbst zu vertreten. Daher seien in diesen Fällen auch geringere Anforderungen zu stellen, als bei krankheitsbedingten Kündigungen. Jedenfalls bei der Dauer einer Inhaftierung von mehr als zwei Jahren könne der Arbeitgeber den Arbeitsplatz dauerhaft neu besetzen.

VI. Fazit

Bei Fehlverhalten eines Arbeitnehmers kann der Arbeitgeber berechtigt sein, eine verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen. Sehr viele Arbeitgeber sprechen eine verhaltensbedingte Kündigung im Augenblick des Zorns aus. Solche spontanen verhaltensbedingte Kündigungen erweisen sich im Kündigungsschutzprozess häufig als unwirksam und kostspielig. Oft bleibt dem Arbeitgeber dann nämlich nichts anderes übrig, als eine hohe Abfindung zu akzeptieren, die er eigentlich keineswegs zahlen wollte.

Dieser Beitrag hat hoffentlich gezeigt, dass es kaum Gründe gibt, den Erhalt einer verhaltensbedingten Kündigung als unabwendbares Schicksal hinnehmen zu müssen. In den meisten Fällen lohnt sich die Erhebung einer Kündigungsschutzklage, weshalb sich ein Arbeitnehmer gleich nach Erhalt der Kündigung wenigstens anwaltlich beraten lassen sollte. Ist die Klagefrist erst einmal abgelaufen, ist es hierzu in aller Regel zu spät.

Bei der Auswahl des Rechtsanwaltes sollte der gekündigte Arbeitnehmer Wert darauf legen, dass sich ein ausgewiesener Spezialist um die Durchsetzung seiner Rechte bemüht, der über das nötige Wissen und Verhandlungsgeschick verfügt, denn entgegen eines anders lautenden Gerüchts ist der Ausgang eines Prozesses nicht reine Glückssache, sondern regelmäßig das Ergebnis juristischen Könnens. Der Verfasser dieses Beitrages ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und hat sich auf die erfolgreiche Abwehr verhaltensbedingter Kündigungen spezialisiert. Er vertritt – abgesehen von einigen ausgesuchten Arbeitgebern – generell nur Arbeitnehmer und Führungskräfte. Er ist bei sämtlichen Arbeitsgerichten, Landesarbeitsgerichten und auch beim Bundesarbeitsgericht zugelassen und vertritt daher seine Mandanten bundesweit.

Rechtsanwalt Torsten Sonneborn