Rechtsanwalt Dirk Löber
Rechte und Pflichten des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren
I. Einführung
Als Strafverteidiger hat der Verfasser die Erfahrung gemacht, dass auch „Normalbürger“ sehr schnell in das Fadenkreuz der Strafermittlungsbehörden geraten können. Oft führt bereits eine kleinere Unachtsamkeit oder ein Missverständnis zu einem unerwarteten Kontakt mit der Staatsanwaltschaft. In einer derartigen Situation gilt es zunächst Ruhe zu bewahren und auf Ermittlungsmaßnahmen wie Festnahme, Durchsuchung, Beschlagnahme oder Vernehmung richtig zu reagieren. Grundsätzlich gilt: Je eher ein Strafverteidiger beauftragt wird, desto besser sind die Verteidigungsmöglichkeiten, vor allem dann, wenn der Beschuldigte bis dahin noch keine Angaben zur Sache gemacht hat.
Wenn die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren einleitet, bemüht sie sich darum, den Sachverhalt aufzuklären und herauszufinden, ob nach ihrer Überzeugung dem Beschuldigten in einem späteren gerichtlichen Verfahren eine Straftat nachzuweisen sein wird. Sie kann alle Ermittlungshandlungen vornehmen, die ihr zur Aufklärung des Sachverhaltes erforderlich erscheinen. Dies erklärt die besondere Bedeutung des Ermittlungsverfahrens. Oft kommt es bereits in diesem Stadium des Strafverfahrens zu entscheidenden Weichenstellungen, die sich in der späteren Hauptverhandlung nur noch bedingt revidieren lassen. Aus diesem Grunde sollte sich jeder Beschuldigte über seine Rechte und Pflichten im Ermittlungsverfahren genau informieren.
II. Wer ist Beschuldigter?
Hier ist die Abgrenzung zum bloßen Tatverdächtigen vorzunehmen. Ein Tatverdächtiger ist eine Person, gegen die der Anfangsverdacht einer Straftat besteht. Der Tatverdächtige wird dadurch zum Beschuldigten, dass gegen ihn ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wird. Es ist nicht notwendig, dass die beschuldigte Person hiervon erfährt. Wird gegen sie eine Strafanzeige erstattet und ergeben beispielsweise schon die ersten Ermittlungen, dass der Tatverdacht unbegründet ist, so stellt die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen ein, ohne den Beschuldigten zu unterrichten. Seine Unterrichtung ist nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgeschrieben (§ 170 Absatz 2 Satz 2 StPO).
Durch die Erhebung der Anklage wird ein Beschuldigter im sogenannten Zwischenverfahren zum Angeklagten. Wird im Anschluss daran von Seiten des Gerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens beschlossen, spricht man vom Angeklagten (§ 157 StPO).
III. Rechte des Beschuldigten
Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft gegen den Beschuldigten eine Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, macht den Beschuldigten nicht rechtlos. Der Beschuldigten hat vielmehr das Recht, sich gegen den Tatvorwurf in unterschiedlichster Art zu wehren und damit maßgeblich auf das Ergebnis der Ermittlungen Einfluss zu nehmen.
1. Recht auf rechtliches Gehör
Das Recht, sich zu verteidigen, kann nur derjenige wirksam und umfassend ausüben, der über die gegen ihn gerichteten Beschuldigungen informiert ist. Der Beschuldigte ist daher von den Ermittlungsbehörden über die gegen ihn bestehenden Verdachtsmomente zu unterrichten. Dieses Recht wird auch als Anspruch des Beschuldigten auf rechtliches Gehör bezeichnet und hat zur Folge, dass ein für den Beschuldigten nachteiliges Ermittlungsergebnis gegen diesen nur dann zugrunde gelegt werden kann, wenn ihm zuvor ausreichend Gelegenheit gegeben wurde, sich hierzu zu äußern. Auch im Ermittlungsverfahren gilt insoweit § 33 StPO, d.h. vor jeder Entscheidung, die zum Nachteil des Beschuldigten neue Tatsachen oder Beweismittel verwertet, muss der Beschuldigte – gegebenenfalls erneut – angehört werden. Soweit dies im Einzelfall wegen des Zwecks der Maßnahme nicht möglich sein sollte, ist die Anhörung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen (§ 33a StPO).
2. Recht auf Belehrung
Wegen der hohen Bedeutung des Grundrechts auf rechtliches Gehörs ist der Beschuldigte bei seiner Vernehmung über sein Recht auf Aussagefreiheit zu belehren (§§ 136, 163 a StPO). Der Beschuldigte muss zunächst darüber belehrt werden, dass er sich nicht zur Sache äußern muss. Das Unterlassen dieser Belehrung begründet ein Beweisverwertungsverbot hinsichtlich aller Äußerungen, die der Beschuldigte in dieser Vernehmung gemacht hat. Dies gilt auch dann, wenn die Belehrung versehentlich unterblieben ist. Der Beschuldigte muss ferner darauf hingewiesen werden, dass er berechtigt ist, einen Verteidiger beizuziehen. Bei ausländischen Beschuldigten muss zu Beginn der Vernehmung außerdem darauf hingewiesen werden, dass diese konsularischen Beistand in Anspruch nehmen können. Erfolgte diese Belehrung nicht, so ist die Aussage des ausländischen Beschuldigten im späteren Strafprozess nicht verwertbar, wenn die Verteidigung der Verwertung wirksam widerspricht.
3. Aussageverweigerungsrecht
Der Beschuldigte kann selbst entscheiden, ob er sich zu dem Tatvorwurf äußert oder lieber schweigt. Er muss sich insbesondere nicht selbst belasten. Entscheidet sich der Beschuldigte zu einer Aussage, so besteht für ihn grundsätzlich nicht die Verpflichtung, wahrheitsgemäße Angaben zum Sachverhalt zu machen.
Das Recht des Beschuldigten, zum Zwecke des Selbstschutzes zu lügen, besteht in der Regel jedoch nicht, wenn dadurch andere Straftaten verwirklicht werden. Als eine andere Straftat in diesem Sinne kommt insbesondere die falsche Verdächtigung (§ 164 StGB) in Betracht, es sei denn die falsche Verdächtigung ist ausnahmsweise Konsequenz des Bestreitens der eigenen Täterschaft, etwa wenn nur zwei Personen als Täter in Betracht kommen und der Täter die Begehung einer Straftat abstreitet.
Auch wenn es dem Beschuldigten nach alledem generell erlaubt ist, die Ermittlungsbehörden zu belügen, ist es gleichwohl zulässig, dass die Strafverfolgungsorgane ihn zur Wahrheit zu ermahnen oder auf die strafmildernde Wirkung eines Geständnisses hinweisen.
4. Anspruch auf rechtsstaatliche Vernehmungsmethoden
Um das Recht des Beschuldigten auf Aussagefreiheit wirkungsvoll zu sichern, verbietet das Gesetz bestimmte Vernehmungsmethoden (§ 136a StPO). Zu den unzulässigen Methoden gehören unter anderem Misshandlung, Ermüdung, Quälerei, Täuschung oder Hypnose. Selbst wenn sich der Beschuldigte mit einer dieser Vernehmungsmethoden einverstanden erklärt hat, bleiben diese unzulässig und die dadurch erlangten Aussagen unverwertbar.
5. Recht zur Stellung von Beweisanträgen
Der Beschuldigte ist auch außerhalb der Hauptverhandlung zur Stellung von Beweisanträgen berechtigt ist (§ 166 Abs. 1 StPO). Was unter einem Beweisantrag zu verstehen ist, ist leider gesetzlich nicht klar definiert. Ein Beweisantrag ist nach Auffassung der Rechtsprechung das Begehren eines Prozessbeteiligten auf eine Beweiserhebung unter bestimmter Angabe der zu beweisenden Tatsache und des zu verwendenden Beweismittels. Die Stellung eines korrekten Beweisantrages bereitet dem juristischen Laien mitunter große Schwierigkeiten. Auch dies ist ein Grund dafür, warum die frühzeitige Beauftragung eines erfahrenen Strafverteidigers allen Beschuldigten wärmstens an Herz zu legen ist.
IV. Der Verteidiger
Der Beschuldigte ist berechtigt, sich in jeder Lage des Strafverfahrens der Hilfe von bis zu drei Verteidigern zu bedienen. Eine der schärfsten „Waffen“ des Verteidigers ist dessen Recht auf Akteneinsicht. Anders als der Beschuldigte selbst hat der Verteidiger das Recht, Einsicht in die Ermittlungsakte zu nehmen. Der Rechtsanwalt erhält die kompletten Akten. Er wird diese kopieren und kann dem Beschuldigten Ablichtungen aushändigen.
Eine mündliche oder schriftliche Einlassung des Beschuldigten sollte – wenn überhaupt – erst abgegeben werden, nachdem das Recht zur Akteneinsicht wahrgenommen wurde. Auf diese Weise erlangt der Strafverteidiger Kenntnis vom konkreten Tatverdacht und verschafft sich ein präzises Bild von der Beweislage. Nur aufgrund des so erlangten Wissens lässt sich eine Einstellung des Verfahrens erreichen, indem man z.B. ergänzende Beweisanträge stellt oder die Staatsanwaltschaft auf bestehende Beweisverwertungsverbote hinweist.
V. Pflichten des Beschuldigten
Ein Beschuldigter ist lediglich verpflichtet, zutreffende und vollständige Angaben zu seinen Personalien, seinem ausgeübten Beruf und zu seiner Wohnanschrift zu machen.
Weigert sich der Beschuldigte, so kann gegen ihn die Identitätsfeststellung nach § 163b StPO oder das Personenfeststellungsverfahren betrieben werden. Außerdem kann der Beschuldigte erkennungsdienstlich behandelt werden und muss überdies mit der Einleitung eines gegen ihn gerichteten Ordnungswidrigkeitsverfahrens rechnen (§ 111 OWiG).
VI. Fazit
Der Beschuldigte ist im Ermittlungsverfahren alles andere als rechtlos. Viele Beschuldigte sind sich ihrer Rechte jedoch nicht bewusst und begehen deshalb schwerwiegende Fehler. Oft genug führen Erklärungen, die Beschuldigte ohne anwaltliche Konsultation und vorherige Akteneinsicht abgeben, zu nachteiligen Konsequenzen, die durch die Inanspruchnahme eines Strafverteidigers nicht mehr korrigiert werden können. Um diesen und weitere Kardinalfehler zu vermeiden, sollte ein Beschuldigter möglichst frühzeitig anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen, und zwar selbst dann, wenn er von seiner Unschuld subjektiv überzeugt ist.